Teilnehmerbericht Starter Nr. 307

Velo-Challenge Hannover 2010

Viele Minuten vor dem Start des Rennens musste unser Team, das Team68, bestehend aus 1 Mitarbeiterin und 6 Mitarbeitern der Stadtentwässerung Hannover in dem zugewiesenen Startblock B Aufstellung nehmen, der aus rund 500 weiteren Teilnehmern bestand. Das Warten auf den Startschuss ließ eine Nervosität bei allen Startern aufkommen, so dass bei vielen der Puls schon auf der Stelle Renntempo hatte. Glücklicherweise hatte ich meinen Herzfrequenzmesser noch nicht in Betrieb genommen und versuchte mich so nicht von der ungewohnten Situation beeindrucken zu lassen, schließlich war es mein erstes Radrennen, an dem ich aktiv teilnahm.

Ich wollte es mit den anderen Teammitgliedern ruhig angehen lassen. Der Teamgedanke stand klar im Vordergrund und der gemeinsame Weg war das Ziel, denn als gehandicapter Einzelfahrer rechnete ich mir keine nennenswerten Chancen auf einen der vorderen Plätze aus.

Als der Startschuss für den Startblock A fiel, nahm auch meine Anspannung zu. Gleich sind wir dran. Kurze Zeit später bekam auch unser Startblock seine Freigabe zum Start. Da jeder Teilnehmer unseres Startblocks erst beim Überfahren der Startlinie per Transponder in Wertung ging, setzte sich das Feld relativ gemächlich in Fahrt, was aber deutlich unruhiger nach Überfahren der Startlinie wurde. Nun galt es den Weg als Team nach vorne zu finden. Es war schon sehr beängstigend, weil sich die gestarteten Radfahrer über die gesamte Fahrbahn am Rudolf-von-Bennigsen-Ufer verteilten. Nur selten gab es Lücken, um seine Fahrt ungehindert fortsetzen zu können. Da ich noch unschlüssig war, wie es weitergehen sollte, beschloss ich auf meine Mitstreiter zu warten, bis ich von Bernhard Altevers, unserem Bereichsleiter gefragt wurde, ob ich vorweg fahren wolle. Ich nahm diese Aufforderung gerne an und verschärfte das Tempo, immer mit dem Gedanken einen Weg durch das Feld zu finden, den auch mein Team fahren konnte. Aufgrund der räumlichen Enge unter den wettkampforientierten Radfahrern war mein Vorhaben nicht ganz ungefährlich, und ich sah mein Heil einzig und allein in der Flucht nach vorn, immer wieder größere Lücken zu suchen und vorzustoßen. Leider verlor ich dabei den Kontakt zu meinem Team. Dann ließ ich es nur noch laufen, die anderen werden schon irgendwann auf mich aufschließen.

Ich trat weiter in die Pedale und war erschrocken, wenn mein Blick auf meinen Tacho und Pulsmesser fiel. Die gefahrene Geschwindigkeit lag meist bei 40 km/h, allerdings lag mein Puls auch schon in Regionen über 150 Schlägen pro Minute, was immer wieder durch mahnende Pieptöne untermalt wurde. Diese Herzschlagfrequenz würde ich wahrscheinlich nicht auf Dauer durchhalten können, ich würde vorzeitig erschöpfen bzw. in eine Unterzuckerung hineinfahren. Deshalb nahm ich mein Tempo etwas zurück, aber überholte weiter etliche Rennteilnehmer, was auch nicht besonders schwer war, da ich immer wieder in den Windschatten eines vorausfahrenden Radlers einfuhr. Erst ab Pattensen lichtete sich das Feld, es bildeten sich kleine Grüppchen, die mit vereinten Kräften dem Ziel entgegen radelten. Mein angeschlagenes Tempo war meist höher, als das der anderen. So kämpfte ich mich von Gruppe zu Gruppe weiter nach vorn. Nach Bennigsen rein führte ich einen kleinen Tross an, weil auch kein anderer die Führungsarbeit übernehmen wollte oder konnte.

In Bennigsen stand die Überquerung der Bahnlinie an, im Anstieg zur Brücke über die Bahngleise schob sich das vorausfahrende Feld wieder zusammen und ich steckte Sekunden später mitten im Verkehr fest. Ehe ich mich versehen hatte, war ich mittendrin und wurde in meinem Vorwärtsdrang stark eingebremst und musste mich der langsamen Geschwindigkeit der anderen unterordnen. Nach Überqueren der Brücke zog sich das komprimierte Feld wieder auseinander, ich konnte nach links ausbrechen und mich von der Masse absetzen. Ich wollte unbedingt Schwung aufnehmen, den ich für den Anstieg nach Steinkrug nutzen wollte, um meine Kräfte zu sparen. Nur leider wurden meine Pläne von anderen Radlern wieder einmal durchkreuzt, so dass meine Bluthydraulik wiederholt in vollem Maße für den Vortrieb und Aufstieg sorgen musste. Es war aus meiner Sicht schon erstaunlich, wie sich die anderen abquälten, um nach Steinkrug zu gelangen und ich mit relativer Leichtigkeit an ihnen vorbeizog, obwohl eigentlich zwei Umstände gegen solches sprachen, mein fallender Blutzuckerspiegel und mein insulinbegründetes Übergewicht.

Die nun bevorstehende Gefällstrecke von Steinkrug nach Bredenbeck bot sich an, um wieder Zeit gutzumachen. Meine Spitzengeschwindigkeit lag in diesem Abschnitt bei rund 55 km/h, und dennoch wurde ich von einigen nachfolgenden Fahrern überholt, was mich doch überraschte. Trotzdem gönnte ich mir eine kleine Verschnaufpause und führte meinem Körper die dringend benötigten Zucker- und Flüssigkeitsreserven zu. Von Argestorf bis nach Wennigsen schloss ich mich einer kleinen Gruppe von Fahrern an, die in Wennigsen auf ein größeres Fahrerfeld aufliefen. Anschließend ging es nach Degersen, wo wieder eine kleine Abfahrt anstand, weshalb es im Vorfeld gut war, sich etwas vom Feld abzusetzen, um das im Ort beginnende kurvenreiche Gefälle effektiv zu nutzen. Zu meiner Freude wurde ich während der Abfahrt von meinem Teamkameraden Norbert Voßler überholt. Nun war ich nicht mehr allein auf mich gestellt. Doch die Freude wehrte nur kurz, denn es folgte der Anstieg über den Gehrdener Berg, den ich recht flott in Angriff nahm und abermals etliche Rennteilnehmer hinter mir ließ. Auf halber Strecke verließen mich langsam meine Kräfte, mein Blutzucker war offensichtlich nicht mehr hoch genug, nur im Anstieg konnte und wollte ich nicht zur Trinkflasche mit den Kohlenhydraten greifen, da dies unter Umständen mein Tempo weiter gedrosselt hätte. Ich schaffte den Gehrdener Berg und passierte die eingerichtete Verpflegungsstation, die ich dummerweise ungenutzt rechts liegen ließ. Stattdessen nutze ich auf der folgenden Abfahrt nach Gehrden rein meinen mitgeführten knappen Trinkvorrat, der von der Zusammensetzung her nicht gerade dem entsprach, wonach mein Körper nun verlangte.

Aber das Ziel rückte immer näher und ein Großteil der Strecke war schon bezwungen, im Grunde hielt die vor mir liegende Strecke mit Ausnahme des folgenden kurzen Anstiegs in Ronnenberg in Richtung Weetzen keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr bereit. So nutzte ich den Anstieg, um bei langsamer Fahrt wieder zur Trinkflasche zu greifen und gleichzeitig meinen Körper nicht zu sehr überzustrapazieren, war ich doch im zurückliegenden Streckenabschnitt erheblich schneller als in den beiden vorausgegangenen verhalten angegangenen Trainings gefahren. Ich wollte in jedem Fall mein Rennen im Ziel und nicht im Krankenhaus beenden, deshalb galt es mit den Kräften und dem verbleibenden Trinkvorrat etwas zu haushalten.

Ich wusste am Ortsausgang Ronnenberg, dass nur noch ein Brückenanstieg vor Weetzen zu nehmen ist, dann kann ich „einfach“ die letzten 15 km ausrollen. Die Brücke schaffte ich noch in alter Manier, mit viel Druck in den Pedalen, doch dann kam in Weetzen die als Schikane zu fahrende Querung der Hauptstraße, um in Richtung Ihme-Roloven weiterzufahren. Ich durchkurvte die Schikane mit hohem Tempo und trat am Schikanenausgang wieder mit voller Kraft in die Pedale, was mein rechter Wadenmuskel mit einem schmerzhaften Krampf oder sogar Muskelanriss quittierte. Sofort war mir klar, der Muskel streikt, jede Anstrengung könnte das endgültige Aus bedeuten. Was blieb mir also übrig, ich musste mich irgendwie ins Ziel retten, den streikenden Muskel nach Möglichkeit schonen, aber in jedem Fall in Bewegung bleiben, vielleicht löst sich der Krampf. Eine Gruppe Radler überholte mich und ich versuchte in deren Windschatten zu folgen. In Ihme-Roloven musste ich die Gruppe abreißen lassen, mein Muskel konnte das Tempo nicht mithalten. Nur aufgeben stand nie zur Diskussion.

Auf dem Weg nach Devese traf ich wieder auf vereinzelte Radfahrer, deren Windschatten ich kurzzeitig nutzen konnte, um mich wieder an das enteilte Feld heranzuführen. Doch nachdem ich alle Windschattenspender hinter mir gelassen hatte, schien das Feld in erreichbare Nähe zu rücken, ein kurzer Zwischensprint über vielleicht 1 000 Meter hätte wahrscheinlich ausgereicht, um sich dem Feld wieder anzuschließen. Nur spurten konnte meine rechte Wade beim besten Willen nicht mehr. So blieb mir nichts anderes übrig, mich besonders klein zu machen, die Trittfrequenz etwas zu erhöhen und zu versuchen langsam an das Feld ranzukommen. So sehr ich mich auch bemühte, der Abstand blieb gleich, keine Chance es alleine mit eigener Kraft zu schaffen.

Kurz vor Döhren blickte ich mich noch mal nach Unterstützung um, voller Freude erblickte ich in vorderster Front ein Team 68-Trikot. Ich konnte auf die Schnelle zwar nicht erkennen, wer da zur Unterstützung nahte, doch ich schien gerettet. Wenige Augenblicke später überholte mich wieder Norbert Voßler. Was für ein „Tier“, allen anderen voran führte er die kleine Gruppe aus fünf Fahrern unaufhaltbar gen Ziel, der ich mich sofort anschloss, bis mich kurz vor dem Ziel mein lädierter Muskel wieder Zwang meinen Vorwärtsdrang zurückzunehmen und in aller Ruhe durchs Ziel zu rollen. Nach 1 Stunde 39 Minuten und 26 Sekunden überfuhr ich schließlich die Ziellinie. Meine gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit betrug damit 35,18 km/h, den Kilometer legte ich somit im Schnitt in 1 Minute und 42 Sekunden zurück.

Wenige Augenblicke nach mir trafen auch Karsten Weigel und Bernhard Altevers im Ziel ein, damit hatten wir vier zur Wertung nötige Teammitglieder ins Ziel gebracht, die alle mit ihrer Fahrzeit unter 1 Stunde und 40 Minuten lagen, was uns als Team 68 den 4. Platz in der Teamwertung einbrachte. In der Gesamtwertung belegte ich mit meiner gefahrenen Zeit den 156. Rang und in meiner Alterklasse Master II den 49.Rang.

Um diese Leistung zu erbringen wies mein Pulsmesser einen Energieverbrauch von 1.299 kcal bzw. 1,51 kWh aus. Das entsprach einer durchschnittlichen körperlichen Leistungsabgabe von ca. 190 W, die meine Rennmaschine besonders effektiv in Bewegung umsetzte. Technik, die mich faszinieren kann und die derzeit schnellste Form der muskelbetriebenen Fortbewegung des Menschen darstellt. Ich wünschte mir, mehr Menschen könnten sich dafür begeistern und würden auf das Fahrrad umsteigen, was dann zum Erhalt unserer Erde beitragen könnte. Ich freue mich schon auf die nächste Velo-Challenge.

 

Wer Rückenwind hat, ist eindeutig zu langsam ;-)

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